Wie können Medien, IT-Firmen, Politik und Gerichte uns vor Falschinformationen schützen? Auf der Suche nach cleveren Ideen aus den USA entdecke ich einen doppelseitigen Lügen-Boykott, durchbrennende Sicherungen und eine verbotene Stadt. An Donald Trump komme ich nicht vorbei, ein Kanarienvogel namens Cancel Culture liegt mir in den Ohren und mich verfolgt der Schwachsinn, den ich rief. Aber am Ende stoße ich auf die ultimative Wahrheit. Ob ihr sie hören wollt? Diesmal bin ich besonders gespannt auf eure Kommentare.
Wie in Teil 1 dieser Folge hört ihr hier von der Medienforscherin Kristy Roschke, dem Kommunikationswissenschaftler Tim Levine und der Medienrechtlerin Ellen Goodman. Und hier kommen die Details:
Die Gäste dieser Podcastfolge
Ellen Goodman ist Juraprofessorin und Mitbegründerin des Rutgers Institute for Information Policy and Law and der Rutgers Universität in Camden (New Jersey). Derzeit forscht sie unter anderem bei der Digital Innovation and Democracy Initiative des German Marshall Fund über Desinformation.
Timothy R. Levine ist Kommunikationswissenschaftler an der Universität von Alabama in Birmingham. Er erforscht, wie Menschen einander täuschen, und hat dazu eine Theorie veröffentlicht: die Truth Default Theory.
Kristy Roschke ist Leiterin des News Co/Labs an der Arizona State University in Phoenix. Die Frage, wie wir uns in der digitalen Welt besser zurechtfinden, beackert sie sowohl im Bildungswesen als auch mit der Presse. Ihr Labor hat einen Kurs in Medienkompetenz entwickelt, der auch der Öffentlichkeit zugänglich ist.
Falls ihr es verpasst habt: Dies ist schon der zweite Teil zum Thema “Wahrheit, Lüge und Internet”. Den ersten Teil findet ihr hier – da geht es darum, wie sich jeder Mensch für sich allein davor schützen kann, einem Schwindel auf den Leim zu gehen.
Medien versus klebrige Mythen
Falschinformationen haben in Überschriften nichts zu suchen. Im Interview warnt Kristy Roschke davor, dass Falschinformationen hängenbleiben, wenn man sie immer wieder wiederholt. „Illusion of Truth“-Effekt nennt so was die Psychologin Liza K. Fazio (Vanderbilt University). Hier eine Zusammenfassung von einer ihrer neuesten Studien dazu.
Wenn euch interessiert, wie solche Versuche ablaufen, könnt ihr zum Beispiel auf der Website der Vanderbilt Unversity eine Liste mit den wissenschaftlichen Veröffentlichungen von Liza Fazio finden. Um solche Studien zu finden und auch zu schauen, welchen Stellenwert sie in der Wissenschaftswelt haben – zumindest ob und wie oft sie zitiert werden – lohnt beim Nachprüfen auch immer ein Blick in Google Scholar.
Im Podcast hört ihr davon, welche Konsequenzen für die Berichterstattung der Radio- und TV-Sender WITF aus Pennsylvania aus den Lügen über die US-Wahl und dem Sturm auf das Kapitol gezogen hat. Auf der Website des Senders findet sich eine ausführliche Erklärung, warum sie das tun.
Politiker*innen zitieren, wenn sie Falschinformationen verbreiten? Von dieser Praxis verabschiedet sich der „Plain Dealer“ und das dazugehörige Cleveland.com, eine Zeitung aus Ohio. Dazu hat die Chefredaktion zunächst eine Begründung veröffentlicht und einige Monate später ein Update, wie das bislang gelaufen ist und beim Publikum ankam.
Boykott gegen – oder für? – “Tucker Carlson Tonight” auf Fox News
Das größte TV-Publikum im Nachrichtenbereich zur Hauptsendezeit hat laut Statista derzeit (Stand Mai 2021) Fox News. Und dessen Top-Show ist demzufolge „Tucker Carlson Tonight“. Nachdem Tucker Carlson in dieser Sendung Falschinformationen über Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus verbreitet hatte, kündigten Firmen wie Disney und T-Mobile ihre Werbespots.
Dass niemand glauben sollte, was Carlson im Fernsehen erzählt, war auch schon ein Thema vor Gericht. Das könnt ihr zum Beispiel bei NPR nachlesen. Der Medienkolumnist Jack Shafer argumentiert in einem Meinungsstück bei „Politico“, warum der Sender Tucker Carlson trotz wiederkehrender Proteste im Programm behält. Die Einnahmen des Senders durch Werbung und durch den Anteil an Kabelfernsehgebühren könnt ihr euch hier anschauen.
Im Podcast geht es dann ja um die Frage, was Kabelanbieterfirmen da tun könnten oder sollten. Diese Frage haben dieses Frühjahr die Kongressabgeordneten Anna Eshoo und Jerry McNerney aufgeworfen. Davon – und von den Reaktionen – berichtet “The Hill”.
Daraufhin gab es eine mehr als dreistündige virtuelle Anhörung im Subcommittee on Communications and Technology of the Committee on Energy and Commerce. Und davon gibt’s ein Video. Wie der Jurist Jonathan Turley dort in seiner Zeugenaussage argumentiert, könnt ihr auch in diesem PDF nachlesen.
Wenn Firmen ihren eigenen Regeln gegen Falschinformationen folgen
Soziale Netzwerke sind als Privatunternehmen nicht an das Gebot der Rede- und Meinungsfreiheit gebunden – sie dürfen ihre eigenen Regeln machen. Die Verbraucherorganisation Consumer Reports hat letztes Jahr eine Übersicht erstellt, welche Art von Falschinformationen verschiedene Netzwerke von Whatsapp bis Tiktok erlauben und welche nicht. Das sind natürlich die Regeln für die USA, ne?
Die Geschichte der französischen Stadt Bitsch, deren Facebook-Seite verschwand, weil das Suchsystem des Internetkonzerns ihren Namen als regelwidrig verstand, hab ich aus dem “Guardian”. Dort habe ich doch glatt die famose Pointe geklaut.
Fernsehen ist in den USA zwar immer noch eine sehr wichtige Nachrichtenquelle. Aber Youtube ist ihm auf den Fersen. 26 Prozent der Erwachsenen in den USA beziehen ihre Nachrichten von Youtube, ergibt eine Umfrage von Pew Research im Januar 2020. Dabei zeigt sich auch: Unter den beliebtesten Nachrichten-Videokanälen machen Angebote etablierter Fernsehsender nur knapp die Hälfte aus, fast ebenso stark vertreten sind Videos von Einzelpersonen ohne erkennbare Bindung an eine Redaktion oder Organisation. Und die Videos dieser Youtuber*innen neigen stärker zu negativer Berichterstattung und Verschwörungstheorien. Wie sich die „Vorlieben“ des Youtube-Algorithmus nutzen lassen, um Falschinformationen zu verbreiten, erklärt ein Videoproduzent in diesem Artikel in der “New York Times“.
Wer schwindelt denn da?
Die „Washington Post“ hat während der Amtszeit von Donald Trump dessen Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft – und mitgezählt. In diesem Artikel fasst Glenn Kessler zusammen, wie das von statten ging und was die so entstandene Datenbank enthält (pssst: mehr als 30.000 Einträge). Diese Datenbank ist übrigens in dem Artikel verlinkt, falls ihr euch damit näher befassen wollt.
Eine Untersuchung des Center for Countering Digital Hate über Falschinformationen, die gegen das Impfen mobilisieren, verfolgt die Spur an die Quelle hinter hunderttausendfach verbreiteten Beiträgen auf Twitter und Facebook. Ergebnis: Federführend ist dabei offenbar nur ein Dutzend Menschen.
Meinungsfreiheit ohne Ende
Aktuelle Fälle und schwierige Fragen rund um Redefreiheit und das First Amendment bereitet „First Amendment Watch“ auf, ein Bildungsprojekt der Journalismus-Fakultät an der New York University.
In drei Schritte haben Ellen Goodman und Karen Kornbluh ihre Ansichten darüber zusammengefasst, was gegen Falschinformationen zu tun sei. Ihr kompletter Bericht zum Thema heißt “Safeguarding Democracy Against Disinformation“.