Kategorien
Interview

Was der Klimawandel für Ahornsirup bedeutet – Interview mit dem Waldökologen Joshua Rapp

Winter und Frühling ringen gerade um die Macht, und wenn zwei sich streiten, freut sich die Dritte: Jetzt ist Erntezeit für Ahornsirup. Wieso eigentlich? Darüber habe ich Joshua Rapp gesprochen. Der Waldökologe befasst sich mit Zuckerahorn, auf gut Latein acer saccharum.

Mehr zum Hören:
Ahornsirup hat bei der Umfrage fürs nächste Podcast-Thema gewonnen! Deshalb habe ich dieses Interview gemacht, aber wie gewohnt ist Josh nicht der Einzige, den ihr im Podcast zu hören bekommt. Ende des Monats ist’s soweit!
Mehr zum Lesen (und Kochen):
Meine Recherchen über Ahornsirup angestoßen hatte das Buchprojekt „Cook Across America“ (mit Rezepten von Gabi Frankemölle von USA Kulinarisch), und es erscheint Ende März! Im Buch könnt ihr ein Interview lesen mit Debby und Mike Funk von Funks Grove Maple Sirup an der Route 66.
Ahornzucker am Stiel und auf Eis: Maple Taffy oder Maple Toffee ist eine beliebte Süßigkeit in Kanada und Neuengland.
Maple Taffy: Ahornzucker am Stiel und auf Eis.

Foto: gautherottiphaine via Pixabay

Von Joshua Rapp lerne ich, dass Zuckerahornbäume im Osten Nordamerikas zu den am weitesten verbreiteten Bäumen gehören – sie wachsen von North Carolina bis nach Kanada. Die meisten gibt’s im nördlichen Teil dieses Gebiets, und so wundert es nicht, dass der allermeiste Ahornsirup aus Kanada kommt, und dort vor allem aus Quebec. Auch Neuengland ist für seine sugar shacks bekannt. Dort entsteht Ahornsirup, fester Ahornzucker, maple butter als Aufstrich und maple taffy (in Kanada maple toffee), ein beliebtes Naschwerk.

Das Verfahren, wie Ahornsaft geerntet wird, hat sich über Jahrhunderte nur wenig verändert. Ausbaldowert haben es indigene Völker im Norden Nordamerikas. Wie das geht und was dabei im Ahornbaum passiert, hat mir Josh Rapp anschaulich erklärt. Im Interview begegnet ihr einer Art Staubsauger für Baumsaft, löcherstopfenden Bakterien und einem Forschungsergebnis über Ahornzucker und Klima, das mir ein Bild von hechelnden Bäumen vors geistige Auge gepflanzt hat.

Joshua Rapp ist Waldökologe bei der Audubon Society von Massachusetts und forscht an der Harvard-Universität an einem Lehrstuhl mit dem poetischen Namen Harvard Forest.

Josh, wo werden Ahornbäume deiner Ansicht nach in Zukunft wachsen, wandern sie nach Norden?

Es ist unklar, ob sich Ahornbäume nach Norden verlagern können, selbst wenn das Klima dort besser für sie geeignet sein wird als jetzt. Denn weiter nördlich in Kanada eignet sich der Boden nicht so gut für Ahornbäume. In einem wärmeren Klima können sie weiterhin gedeihen, sofern sie den richtigen Boden vorfinden und dieser feucht ist, es also viel Regen gibt. Allerdings sind Ahornbäume nicht konkurrenzstark. Andere Bäume, die bisher weiter südlich stärker verbreitet sind und schneller wachsen, können in einem erwärmten Klima den Ahorn verdrängen. Ihnen gegenüber hatten Ahornbäume bislang den Vorteil, dass sie bei kühleren Temperaturen wachsen können. Hier bei mir in Massachusetts zum Beispiel gehört Ahorn zu den am frühesten knospenden und blühenden Bäumen. Sie strecken ihre Blätter früher aus als Eichen und im Süden verbreitete Baumarten, und das ist natürlich ein Vorteil im Wald.

Blick von unten in die Krone eines Ahornbaums, dessen Blätter grün, gelb und orange leuchten.
Die Krone eines Ahornbaums im Herbst. Foto: Natasha G über Pixabay

Welche Folgen des Klimawandels könnten Ahornbäumen Probleme machen?

Sie vertragen keine Trockenheit. Bei höhreren Temperaturen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es häufiger zu Dürreperioden kommt, und das gefährdet das Überleben der Bäume. Ihnen droht noch eine weitere Gefahr, die nicht direkt mit dem Klimawandel zu tun hat: Schädlinge und Krankheiten verbreiten sich mit der hohen Mobilität der Menschen. Wir schicken Sachen um die ganze Welt, und manchmal schicken wir dabei Holzkrankheiten und Schädlinge mit, die Bäume befallen, wie etwa der Asiatische Laubholzbockkäfer. Bei einigen dieser Schädlinge gibt es einen Klimabezug in dem Sinne, dass man sie in kälteren Regionen in Schach halten kann, sie sich aber mit der Erderwärmung auch dort ausbreiten können.

Sagen wir mal, unseren Ahornbäumen geht es prima, und jetzt geht’s an die Ernte. Warum findet die im Winter statt?

Nur ein ganz bestimmtes Wettermuster bringt den Saft in den Bäumen zum Fließen: Frost-Tau-Zyklen. Meist bedeutet das Nächte unter dem Gefrierpunkt und wärmere Tage. Das Gefrieren eines Zuckerahorns zieht Wasser aus dem Boden in die Baumkrone, und dort wird es zu Pflanzensaft. Wenn der Baum am nächsten Tag auftaut, geht der Saft zurück in die Gefäße des Baums, die man sich wie Röhren vorstellen kann, die im Baum rauf- und runterlaufen. Darin fließt der Saft dann wieder nach unten. Das funktioniert nur bei wenigen andere Baumarten, und Ahorn, besonders Zuckerahorn, hat den süßesten Saft. Ihn sammeln Ahornsiruperzeuger*innen, indem sie ein Loch in den Baumstamm bohren, aus dem der Saft herauslaufen kann, und dann müssen sie nur noch auf Frostwechsel warten.

Wo liegen da die Knackpunkte, die für deine Klimaforschung interessant sind?

Der Zeitpunkt und die Dauer dieser Frost-Tau-Zyklen beeinflusst, wie viel Saft geerntet wird. Mit der Erderwärmung sollte sich diese Periode der Frost-Tau-Zyklen logischerweise auf früher im Jahr verschieben, aber wir beobachten jetzt auch: Sie wird ungleichmäßiger. Früher konzentrierten sich Frost-Tau-Zyklen zum Frühling hin, jetzt können sie den ganzen Winter lang auftreten. Und dazwischen kann es Phasen mit sehr starker Kälte geben oder tagelang überhaupt keinen Frost. In beiden Fällen fließt kein Saft.

Nahaufnahme von einem Metall-Ausguss im Stamm eines Ahornbaums, unter dem ein Eimer hängt.
Ernte im Winter: Über diesen Ausguss im Baumstamm soll der Ahornsaft in den Eimer fließen. Foto: thankful4hope über Pixabay

Das klingt anstrengend für die Erzeuger*innen. Beeinflusst diese Veränderung auch die Qualität der Ernte?

Den Zuckergehalt und die Saftqualität untersuchen wir in einem Forschungskollektiv, bei dem ich mitmache, dem Acer Climate and Socio-Ecological Research Network, kurz AcerNet. Acer ist der wissenschaftliche Gattungsname für Ahorn. An sechs verschiedenen Orten über das Verbreitungsgebiet verteilt haben wir untersucht, wie viel Saft im Baum fließt, wie viel Saft geerntet wird und welchen Zuckergehalt der Saft hat. Außerdem haben wir die chemische Zusammensetzung untersucht und auf Phenolharze geschaut, die zum Geschmack beitragen. Diesen Teil leitet meine Kollegin Selena Ahmed an der Montana State University, und dazu haben wir noch nichts veröffentlicht. Aber zum Zuckergehalt kann ich schon etwas sagen:

An Orten mit einem wärmeren Sommer ist der Ahornsaft im folgenden Winter weniger süß.

Wir wissen nicht, warum das so ist. Unsere Hypothese ist: Weil mit den Temperaturen auch die Atmungsaktivität steigt, verbrauchen die Bäume mehr von dem Zucker, den sie während der Wachstumsperiode mit der Photosynthese erzeugen. Die Bäume müssen sozusagen härter für ihren Stoffwechsel und ihr Gewebe arbeiten, und sie lagern weniger Zucker langfristig ein. Diese Hypothese konnten wir aber noch nicht mit einer Studie testen. Wir haben allerdings beobachtet, dass der Zuckergehalt auch sinkt, nachdem die Bäume besonders viele Samen gebildet und entsprechend viel Energie verbraucht haben. Wenn der Klimawandel fortschreitet, könnte es sein, dass der Zuckergehalt im Ahornsaft sinkt, und das möglicherweise in allen Gebieten. Im Moment ist er im Norden am süßesten.

Nun denken ja viele Menschen darüber nach, wie die Natur sich an den Klimawandel anpassen wird und was sie dazu beitragen können. Also zum Beispiel, Ahornbäumen beim Überleben helfen. Als Süßzahn fände ich es natürlich ein Plus, wenn sogar noch genug Saft abzapfbar wäre. Kannst du mir ein Bild davon malen, welche Chancen der Klima-Anpassung es für Ahornbäume gibt, und wo die Grenzen liegen?

Ja, da gibt es zwei Komponenten. Die eine betrifft, wo die Bäume stehen und wie gesund sie sind. In diesem Bereich verläuft Anpassung sehr langsam, denn Ahorn wächst langsam und wird alt. Kaum ein Ahorn-Farmer pflanzt einen Baum mit dem Ziel, ihn anzuzapfen. Stattdessen wird meist ein Waldstück gesucht, in dem schon viele Ahornbäume stehen. Traditionell hat man dort dann alle anderen Bäume entfernt, damit die Ahorne mehr Platz haben, um schneller, höher und mit größerer Krone zu wachsen, denn all das bringt man mit einer besseren Safternte in Verbindung. Dieses Auslichten verbessert zwar die Gesundheit des einzelnen Baums, geht aber auf Kosten des ganzen Wäldchens. Es wird anfälliger für den Klimawandel, weil dort nur noch eine Baumart steht, möglicherweise noch in ungefähr derselben Größe. Bei Sturm, Insektenbefall und so weiter könnten deshalb alle Bäume sterben, und dann gibt es da überhaupt keinen Wald mehr. Um einen Wald an den Klimawandel anzupassen, sollte man für Vielfalt sorgen, also dort verschiedene Baumarten belassen oder ansiedeln, am besten in verschiedenem Alter. Das Problem: Ein solcher Mischwald trägt nicht gerade zur kurzfristigen Maximierung des Ertrags für die Ahornsirupproduktion bei.

Wie könnten sich Ahornsirup-Erzeuger*innen an den Klimawandel anpassen?

Für sie ist es wichtig, ihr Geschäft breiter aufzustellen. Die meisten Produzent*innen stellen nicht allein Ahornsirup her. Und bei der Produktion gibt es technische Hilfsmittel: Zwar ist ein Frost-Tau-Zyklus nötig, damit der Saft überhaupt zu fließen beginnt, aber dann lässt sich der Saft quasi aus dem Baum saugen mit Hilfe von Vakuumpumpen an einem Röhrensystem, an das alle Abflüsse angeschlossen sind. Diese Technik bietet einen Puffer gegen Perioden, in denen es eigentlich zu warm ist – der Saft fließt trotzdem. Allerdings hat die Methode auch ihren Preis. Studien haben erwiesen, dass stärkeres Saftabzapfen, ob mit Vakuumpumpen oder mit mehr Abflusslöchern, das Wachstum der Bäume drosselt. Diese Bäume sind mit der Zeit wahrscheinlich weniger produktiv und auch weniger gesund, sie leben weniger lange. Es muss also ein Kompromiss gefunden werden zwischen einer Anpassung, die kurzfristig eine hohe Produktionsmenge ermöglicht, und der langfristigen Gesundheit dieser Wälder, die den Rohstoff für künftige Ahornsafternten erhält.

Wegen solcher Herausforderungen ist ein Austausch zwischen der Lebensmittelerzeugung und der Wissenschaft entstanden. Welche Fragen bekommst du vonseiten der Landwirt*innen oder Hersteller*innen zu hören, was würden sie dich als Waldökologen am liebsten erforschen lassen?

Für Produzent*innen ist Vorhersagbarkeit wichtig. Ein gewisses Maß an Ungewissheit sind Bauern und Bäuerinnen gewohnt, egal was sie anbauen. Einfach weil das Wetter von Jahr zu Jahr anders sein kann. Aber jetzt wird vieles bei der Ahornsirupproduktion noch viel unberechenbarer, und das ist für die Hersteller*innen problematisch. Deshalb würden sie gern wissen, wie sich der besten Zeitpunkt zum Anzapfen bestimmen lässt, während es immer wärmer wird und es immer schwieriger wird, diesen Zeitpunkt zu finden. Im Moment zapfen die großen Ahornsirupproduzent*innen glaube ich Mitte Januar an. Das ist zum einen eine Reaktion darauf, dass der Saft inzwischen viel früher zu fließen beginnt, zum anderen darauf, dass ihre Produktion immer größer wird und es mehrere Wochen dauern kann, all diese Bäume anzuzapfen.

Und was ist das Problem an einer längeren Erntesaison?

Wenn die Bäuerinnen und Bauern so früh anfangen, bekommen sie zwar schon die ganz frühen Abflüsse aus dem Ahornbaumstamm mit. Auch das hat aber eine Kehrseite. Weil Wärmeperioden im Winter immer häufiger auftreten, brechen die Bäume ihre Knospen und beginnen, Blätter und Blüten zu erzeugen. Das mindert die Saftqualität. Außerdem haben wir entdeckt, dass nach solchen Wärmeperioden weniger Saft fließt. Das liegt daran, dass Bakterien, die den Saft mögen, sich in die Zapflöcher setzen, sich dort vermehren und sie mit der Zeit verstopfen. In einer kurzen Erntesaison war das kein Problem. Jetzt ist die Saison nicht mehr so konzentriert wie früher, sie ist länger und weniger berechenbar. Und der Zuckergehalt des Ahornsafts bleibt nicht über die ganze Erntezeit gleich. Wo ich wohne, in Neuengland, ist der Zuckergehalt zum Beispiel anfangs niedrig, steigert sich im März und nimmt dann wieder ab. Es gibt also einen Zeitpunkt, wo du den meisten Zucker herausholen kannst. Wenn der aber nicht mit der Zeit zusammenfällt, in der der Saft gut fließt, dann wirst du wahrscheinlich weniger Ahornsirup herstellen.

Ein Stapel dicke Pfannkuchen, auf die Ahornsirup geträufelt wird.
Ein Klassiker beim amerikanischen Frühstück: Pfannkuchen mit Butter und Ahornsirup. Foto: bvoyles4 über Pixabay

Du wohnst in Massachusetts, wo man Ahornsirup kaum übersehen kann: Hofläden und Stände verkaufen ihn an den Landstraßen. Ist Klimawandel ein Thema für die Menschen in der Region?

Ja, definitiv. Mit AcerNet machen wir auch Umfragen unter Ahornsirupproduzent*innen. Dabei haben wir festgestellt, dass Klimawandel definitiv ein Thema ist, über das sie nachdenken. Ob sie als Reaktion darauf ihr Verhalten ändern, ist weniger klar zu benennen. Auch in der Bevölkerung gibt es ein Bewusstsein, glaube ich. Ich meine, jedes Jahr um diese Zeit, zur Ahornsirupernte, bekomme ich mehrere Medienanfragen speziell zu Ahorn und Klimawandel. Und wenn ich irgendwo erzähle, dass ich über Ahorn forsche, kommt meist die Frage, wie der Klimawandel den Ahornsirup betreffen wird. Die Leute mögen Ahornsirup halt sehr.

Was würdest du gern erforschen, wenn du unbegrenzte Forschungsmittel hättest?

Bei der Forschung mit AcerNet hatten wir sechs Orte, an denen wir täglich auf dieselbe Art und Weise Proben entnehmen konnten. Das war schon einzigartig, denn die meisten Studien müssen sich auf einen Ort beschränken, und weiterreichende Studien müssen sich meist auf kumulierte Produktionsdaten stützen. Um die Auswirkungen des Klimas auf die Ahornsirupproduktion wirklich zu verstehen, wäre es toll, viel mehr Orte über das gesamte Zuckerahorn-Verbreitungsgebiet zu haben, an denen täglich Daten nach demselben Muster gesammelt werden. Dann könnten auch Unterschiede im Boden, in den Eigenschaften des Waldes und der einzelnen Bäume einbezogen werden. Das würde ich machen, wenn ich unbegrenzte Finanzierung hätte – und auch die nötigen Projektmitarbeiter*innen, denn an jedem Ort müsste jemand diese Forschung betreuen.