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Notizbuch

Die Graffiti-Türme von Los Angeles

Graffiti, Cops und Kapitalismus – amerikanischer geht’s grad nicht. Notizen vom Oceanwide Plaza in Los Angeles.

„Das ist keine Kunst, das ist ein Verbrechen.“

Harsche Kunstkritik für die gigantische Aktion am Oceanwide Plaza in Los Angeles? Das Zitat stammt von einem Mann, dessen Beruf nicht Kunstverstand, sondern Kompetenz an der Waffe erfordert: Dies ist eine Geschichte über umstrittene Malerei, die höher fliegt, als es die Polizei erlaubt. Graffiti, Cops und Kapitalismus – amerikanischer geht’s grad nicht.

Sprayflaschen mit Farbresten -Werkzeuge für Graffiti

Was ist passiert?

Manche nennen es die Graffiti-Türme von Los Angeles: 30 Wolkenkratzer-Stockwerke des Oceanwide Plaza in Los Angeles sind voller Graffiti – und zwar nicht nur an einem Hochhaus, sondern an dreien. Seit Ende Januar kommen dort immer neue riesige, bunte Schriftzüge hinzu, obwohl die Polizei von Los Angeles die Gebäude inzwischen rund um die Uhr bewacht. Mindestens 40 Menschen wurden nach Polizeiangaben festgenommen.

Wo kann ich mir Bilder dieser Graffiti Towers anschauen?

Vor allem auf sozialen Netzwerken. Als es gerade losging, hat auch die Nachrichtenagentur AP einige Bilder gemacht. Und dieses Video eines der beteiligten Künstler, Aker, gibt einen Eindruck davon, wie so eine Graffiti-Aktion im Wolkenkratzer abläuft.

Was ist über das Gebäude bekannt?

Der betroffene Gebäudekomplex aus drei Wolkenkratzern ist eine Bauruine, an der sich seit 2019 nichts mehr getan hat: Oceanwide Plaza gehört einem Bauunternehmer aus Peking, dem das Geld für den Weiterbau ausging. Für bereits geleistete Arbeit soll die Eigentümerfirma Oceanwide Holding noch Schulden in Höhe von 200 Millionen Dollar ausstehen haben. Mit Hilfe chinesischer Investoren sollte Oceanwide Plaza das höchste Wohnhaus von Los Angeles werden, mit mehr als 500 Luxus-Eigentumswohnungen plus Fünf-Sterne-Hotel. Stattdessen ist die Gegend nun von Baugerüsten und herumliegendem Schutt geprägt.

Was sagen beteiligte Graffiti-Künstler*innen?

Der Graffiti-Künstler Hopes hatte sich am Oceanwide Plaza einen Platz ganz oben für seinen Tag ausgesucht. Das Ding ist ein Wolkenkratzerspielplatz“, sagt Hopes dem Online-Kunstmagazin Hyperallergic. „Lasst uns zusammenkommen und ihn anmalen. LA Graffiti-Geschichte schreiben.“

Ein weiterer Künstler verweist auf den maroden Zustand. „Dieses Gebäude hat seit Jahren Arbeit nötig“, sagt Aker. „Da macht die Straßenszene von LA gern was draus, wenn die Besitzer sich nicht selbst drum kümmern.“ Als Inspiration gibt der Künstler Merch eine Aktion während der Kunstmesse Art Basel Miami Beach im Dezember 2023 an. Dort hatten Graffiti Writer sich ein vor dem Abriss stehendes 20-stöckiges Krankenhaus vorgeknöpft.

Was sagt die Polizei?

„Das ist keine Kunst. Das ist ein Verbrechen“, schreibt der Polizeichef von Los Angeles, Michel Moore, auf Twitter über die Aktion am Oceanwide Plaza. Moore warnt außerdem davor, dass Menschen in der Bauruine zu Schaden kommen könnten, und klagt über die Zusatzarbeit: Es seien schon Tausende Arbeitsstunden zusammengekommen und Polizeibeamte müssten Überstunden machen.

Bei einer Tour mit Lokalpolitiker*innen und Journalist*innen sagt ein Polizist, das Gebäude erinnere ihn an Tschernobyl. Zu den Gefahren, vor denen er warnt, gehören unfertige Bauteile und freiliegende Stromkabel. Zudem seien den Angaben nach Feuerlöscher benutzt worden, um Scheiben einzuschlagen – und die Feuerlöscher seien dann mitsamt der Scherben nach unten gefallen.

Ohne Einwilligung der jeweiligen Eigentümer*innen ist jegliche Form von Graffiti in Kalifornien verboten. Graffiti gilt als Sachbeschädigung und wird je nach Einschätzung des entstandenen Schadens bestraft.

Wie schätzen Fachleute die Graffiti-Aktion ein?

Die Kunst- und Designkritikerin der „Los Angeles Times“ betont die gesellschaftliche Funktion von Graffiti: „Tagger haben ein Händchen dafür, ein Schlaglicht auf vergessene Räume zu werfen“, schreibt Carolina Miranda. Die nun mit Schriftzügen verzierten Bauruinen sieht sie als ein Symbol für das Versagen des Kapitalismus, die Wohnungsnachfrage einer Stadt zu bedienen. Allerdings befürchtet Miranda, dass die Aktion nun wohl auch das „Narrativ von den im Zerfall befindlichen Städten“ nähren werde, das die politische Rechte in den USA zu verbreiten sucht.

„Es ist das gute Recht der Leute, nicht zu mögen, was Graffiti-Sprüher*innen machen“, sagt der Kulturgeograf Stefano Bloch der „L. A. Times“. „Trotzdem würde ich sie dazu ermuntern, zumindest Respekt für den Versuch aufzubringen, einen Ort zu nutzen, um den sich niemand sonst kümmert.“ Bloch lehrt an der Universität von Arizona und hat 2019 ein Buch über die Graffiti-Subkultur in Los Angeles geschrieben – eine Mischung aus wissenschaftlicher Betrachtung und persönlichen Memoiren (auf gut Englisch: autoethnography): Der Kulturgeograf war selbst Graffiti Writer in Los Angeles.

Wie reagiert die örtliche Politik auf die Graffiti-Wolkenkratzer?

Der Stadtrat von Los Angeles hat der Eigentümerfirma zunächst bis zum 17. Februar Zeit gegeben, das Gelände zu sichern und die Graffiti zu entfernen. Die Frist verstrich sang- und klanglos.

Nun stellt die Stadtverwaltung 3,8 Millionen Dollar bereit, um das Gelände zu umzäunen und die Graffiti abzuwaschen. Los Angeles wolle diese Kosten dem Eigentümer in Rechnung stellen, teilte der Stadtverordnete Kevin De Leon mit. Er ging auch auf die Belastung der Polizei ein: „Die LAPD gehört den Einwohner*innen der Stadt L. A. und den Wähler*innen“, sagte De Leon dem „Los Angeles Magazine“. „Ihre Leistung sollte nicht zweckentfremdet werden, um kommerzielle Bauherren zu schützen.“ Das Problem dabei: Oceanwide ist pleite.

Und wie könnte es mit den Graffiti Towers jetzt weitergehen?

Während Oceanwide Plaza sich zum Tourismusmagneten aufschwingt, steht die Stadt Los Angeles vor einer schwierigen Entscheidung. Sie könnte die Bauruine umzäunen und stehen lassen. Oder abreißen. Oder beschlagnahmen, fertigbauen und daraus sozialen Wohnungsbau machen. Jede Entscheidung wird rechtliche Fragen aufwerfen – und eine ganze Stange Steuergelder kosten.

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