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So amerikanisch wie … Apfelkuchen?!

Zum typisch amerikanischen Essen gehört Apple Pie unbedingt dazu. Dabei stammen die Zutaten und die Idee von anderswo.

Letzte Woche war ich zu Gast im Podcast “Brunch”, den die fabelhafte Helene Pawlitzki für die “Rheinische Post”* produziert. Aufhänger war “Cook Across America“, das neue Buch, das ich zusammen mit der Foodbloggerin Gabi Frankemölle geschrieben habe. Als Helene fragte, ob wir trotz der Vielfalt der US-amerikanischen Küche eine Gemeinsamkeit, einen roten Faden sehen, war eins meiner Paradebeispiele apple pie.

Als “typisch amerikanisch” international bekannt sind Hamburger und Hotdogs. Die gibt’s tatsächlich fast überall in den USA, und jede Ecke scheint ihre eigene Variante zu haben. Dasselbe gilt für apple pie: Er ist überall in den USA zu haben, aber jede Familie hält das eigene Rezept für das Original. Manche Amerikaner*innen flechten ein Teiggitter, andere würden ihren Apfelkuchen niemals ohne Streusel servieren, wieder andere bevorzugen die Apfeltasche. Ob Butter oder Schmalz in den Teig gehört oder welche Äpfel wie lange mit welchen Gewürzen kochen sollen, darüber wollen wir lieber keinen Streit vom Zaun brechen.

Lecker schmeckt apple pie auf jeden Fall. Deshalb steht die Redewendung “as American as apple pie” für das Beste, was die US-Kultur zu bieten hat. Baseball und Beyoncé, Superman und Sitcoms. Coffee refills und Foodtrucks. Jeans, Cowboystiefel, Jazz und Blues. Und Punkrock natürlich.

Wie der Apple Pie zum amerikanischen Kuchen wurde

US-Soldaten im II. Weltkrieg sollen gegenüber Journalist*innen gesagt haben, sie zögen in den Kampf “for mom and apple pie“. Also für Mama und Apfelkuchen. Dadurch soll sich die Redewendung weit verbreitet haben, etwas sei so amerikanisch wie Apfelkuchen. Diese patriotische Verbindung wurzelt in der Volkssage von Johnny Appleseed.

Sie erzählt von einem jungen Mann, der überall in den Vereinigten Staaten Apfelbäume sät und die Natur über alles liebt. In einem Disney-Film von 1948 schwirren sogar blaue Vögelchen um Johnny herum. Die Legende beruht auf einer Figur, die wirklich gelebt – und gesät – hat: John Chapman. Im frühen 19. Jahrhundert reiste er den Trecks in den Westen der USA voran, legte Tausende Apfelhaine an und verkaufte sie später an die ankommenden Siedler*innen. Die buken damit allerdings keinen Kuchen, sondern brauten apple cider. Weil im Wasser alle möglichen Keime stecken konnten, schien Alkohol die gesündere Wahl.

Drei kleine, grüne Äpfel, die in den USA crab apples heißen
Sehr sauer: Crab apples – nordamerikanische Wildäpfel. Foto von JamesDeMers über Pixabay

Wildäpfel aus Nordamerika – crab apples – mochte niemand in einen Kuchen stecken: Sie sind äußerst sauer. Die Äpfel, die heute den apple pie versüßen, stammen aus Europa und Asien. Sie sind nicht die einzigen Zutaten, die auf dem Kontinent verhältnismäßig neu sind: Kein Weizenhalm wuchs vor Ankunft der Europäer*innen in Nordamerika, kein Rindvieh graste die Prärie ab, aus dessen Milch Butter hätte geschlagen werden können.

Das erste veröffentlichte Apfelkuchenrezept stammt von 1381 und aus England; in den USA entwickelte diese Idee ein Eigenleben. Das ging dann aber so weit, dass ein Redakteur der “New York Times” im Jahr 1902 höchst allergisch auf den Einwand eines Engländers reagierte, pie sollte höchstens zwei Mal pro Woche gegessen werden:

[Eating pie twice per week] is utterly insufficient, as anyone who knows the secret of our strength as a nation and the foundation of our industrial supremacy must admit. Pie is the American synonym of prosperity, and its varying contents the calendar of changing seasons. Pie is the food of the heroic. No pie-eating people can be permanently vanquished.

New York Times, 1902

Übersetzt: “Pie nur zweimal pro Woche zu essen reicht absolut nicht aus, das muss jeder zugeben, der das Geheimnis unserer Stärke als Nation und die Basis unserer industriellen Überlegenheit kennt. Pie ist das amerikanische Synonym für Wohlstand, und seine wechselnde Füllung ein Kalender der Jahreszeiten. Pie ist das Essen von Helden. Kein Pie-essendes Volk kann dauerhaft besiegt werden.”

Solche Geschichten über die Geschichte des amerikanischen Apfelkuchens könnt ihr zum Beispiel im Smithsonian Magazine oder bei Priceonomics nachlesen.

Nun ließe sich einwenden, ein blueberry cobbler wäre eigentlich amerikanischer als Apfelkuchen, weil zumindest die Blaubeeren aus Neuengland stammen, oder noch besser ein historischer Snack aus Beeren und Tierfett. Zwar sind Gerichte mit heimischen Zutaten sehr lecker, und Einblicke in regionale Traditionen von Native Americans spannend. Beides zeigt aber nur einen Ausschnitt aus den heutigen USA.

In einem Einwanderungsland bringen Menschen immer wieder neue Zutaten und Rezepte mit. Ungefähr jeder siebte Mensch, der heute in den USA wohnt, wurde im Ausland geboren. Von außerhalb Amerikas stammen auch die Vorfahren der allermeisten, die heute die USA einmauern wollen wie ein Mausoleum. Wer sich vor Kulturen außerhalb von Nordamerika fürchtet … sollte konsequenterweise keinen Apfelkuchen essen?! Hamburger übrigens auch nicht – sowohl der Weizen für die Brötchen als auch die Rinder für die Frikadellen stammen aus der Fremde.

So ausführlich habe ich im “Brunch”-Podcast nicht über apple pie gesprochen. Aber dafür über mehr kulinarische Themen als Apfelkuchen. Den Podcast über die amerikanische Küche könnt ihr euch hier anhören.

* Hinweis: Ich arbeite als freie Journalistin für die Onlineredaktion der “Rheinischen Post”, bin also quasi eine Kollegin von Helene Pawlitzki. Ihren Namen und ihren Posten kannte ich, aber erst durch das Buch und diese Podcast-Aufnahme hatte ich zum ersten Mal mit ihr zu tun – und sie hat jetzt einen weiteren Fan.

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